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„Spielräume wieder nutzen“

Allgemeine News

VSS-Obmann Günther Andergassen im Gespräch – Rückblick auf 2022 und Ausblick auf 2023

Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter dem Verband der Sportvereine Südtirols (VSS) und ein spannendes steht bevor. Im Interview wirft Obmann Günther Andergassen einen Blick zurück und wagt einen Ausblick auf 2023.

VSS: Wie sehen Sie das geleistete Jahr.

Günther Andergassen: Das Jahr 2022 hat wieder Mut und Hoffnung gemacht. Der VSS und die Sportvereine insgesamt bekamen und nutzten wieder Spielraum für das, wofür wir stehen und womit wir einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität unserer Gesellschaft leisten, den so dringenden Spielraum für Bewegung und Sport. Darum haben wir auch in Corona-Zeiten bemüht, weil wir überzeugt waren, dass Bewegung und Sport gegen körperliche und psychische Krankheiten vorbeugen und schützende Wirkung haben., was eine große wissenschaftliche Studie zu Covid-19 bestätigt.
Umso mehr freuen wir uns darüber, dass wir 2022 nicht nur die Jugendförderprogramme in guter Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsvereinen wieder durchführen konnten. Bei den Jüngsten hatten wir sogar mehr Zulauf zu verzeichnen. Ganz offensichtlich ist bei den Familien das Bewusstsein über den hohen gesundheitlichen und sozialen Stellenwert des Sports und seiner Organisationen für eine förderliche Entwicklung der Kinder gestiegen. Die Sportvereine haben ihrerseits mit viel Kreativität und dem bekannten Engagement ihre Sportangebote nicht nur wieder aufgenommen, sondern in vielen Bereichen weiterentwickelt.
Ein ganz besonderes Projekt konnte auf Initiative des VSS in guter Zusammenarbeit mit der deutschen Bildungsdirektion, der Landesdirektion der deutschsprachigen Grund-, Mittel- und Oberschulen und den Grundschulen durchgeführt werden: die Pilotstudie zum Fitnessbarometer Südtirol. Diese Studie befasste sich mit der Frage, wie fit sind unsere Kinder? Sie wurde wissenschaftlich von Professor Klaus Bös & Tanja Eberhardt vom Karlsruher Institut für Technologie und von Professorin Patrizia Tortella von der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen begleitet und ausgewertet. Die Studie lieferte interessante Daten zur Fitness  und zur Körperkonstitution der Kinder. Der VSS hofft sehr, dass ausgehend von dieser Pilotstudie nächstens eine landesweite Studie unter Einbezug aller drei Bildungsbereiche durchgeführt werden kann.
Positiv anzumerken will ich ebenso, dass in Sachen Sportautonomie dank unseres Landeshauptmannes Kompatscher sich nun tatsächlich etwas bewegt. Leider gilt das nicht für das vom VSS so lang ersehnte Landessportzentrum, ein Kompetenzzentrum, das für die qualitative Weiterentwicklung des Südtiroler Sports insgesamt und für die Förderung unserer Sporttalente und Leistungsträger unerlässlich ist.

VSS:Welche sportlichen Highlight von 2022 ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Günther Andergassen: Das sind einmal die VSS/Raiffeisen Volleyball-Landesmeisterschaften in Kastelbell, ein wahres Familiensportfest. Auf einem Fußballfeld spielen 300 Kinder auf 36 Volleyballfelder und auf dem anderen Fußballfeld haben ihre Familien Zelte aufgestellt, die kleinen Geschwister tummeln sich quer über den freien Platz, wahrend ihre Eltern für das Mittagessen grillen. Natürlich tauchen auch immer wieder die Bilder vom Wintersportfest – den VSS/Raiffeisen Kinderskilandesmeisterschaften in Sulden vor der einmaligen Kulisse des „König Ortlers“ oder die tolle Zuschauerkulisse beim VSS/Raiffeisen Jugend-Fußballfinale in Milland auf mit den vielen Eltern, die ihre Kinder begleiten. Beeindruckend ist das große Engagement der Organisatoren. Sie bereiten und führen diese VSS-Meisterschaften als ob es „Weltmeisterschaften“ wären und bringen so ihre ganze Wertschätzung gegenüber den sportbegeisterten Kindern und Jugendlichen dar. Sie gestalteten Sport-Feste!
Ein besonderes Kompliment auch den vielen Eltern, die ihre Kinder begleiten und so zum Ausdruck bringen, dass ihnen die sportliche Tätigkeit ihrer Kinder viel bedeutet. Das ist Motivation für die Kinder und die Sportvereine.
Ein etwas anderer Höhepunkt war die Verleihung des 1. Südtiroler Bewegungs- und Sportraum Preises an die Gemeinde Algund. Es war faszinierend, wie sehr sich die Verantwortungsträger der Gemeinde Algund über diese Auszeichnung freuten und das große Interesse anderer Gemeinden an der Idee, attraktive Bewegungsräume für jung und alt zu schaffen.
Ein besonders attraktives Bewegungsangebot des VSS ist die Eisi-Tour. Diese wurde in Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion und den Grundschulen unter der Leitung von Michael Mair quer durch das ganze Land durchgeführt und ist bereits wieder quer durch das ganze Land unterwegs mit einer unerwartet großen Nachfrage von Seiten der Schulen, deren Lehrpersonen begeistert mitmachen
Die Initiative „Erlebniswelt Sport“ hat der VSS auf Wunsch seiner Sportreferenten vom Forum Prävention übernommen, einen Teil des Programms im Herbst 22 bereits mit großem Erfolg umgesetzt und wird diese Initiative im Frühjahr 2023 fortführen.
 
VSS:Der VSS hat im Jahr 2022 wieder Aus- und Weiterbildung angeboten und einige besondere Initiativen gestartet.

Günther Andergassen: Endlich konnten wir wieder einer uns wichtigen Aufgabe nachkommen und aktuelle Themen rund um den Sport und der Sportentwicklung im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsangeboten aufgreifen und mit Experten aus dem In- und Ausland behandeln.  
Im Bewusstsein, dass die Gestaltung einer nachhaltigen und somit zukunftsfähigen Entwicklung zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit gehört, hat der VSS die Initiative „ N! Charta Sport - Nachhaltige Sportvereine“ und ihren 12 Leitbildern und mit einem entsprechenden Workshop nach zweijähriger Vorbereitung gestartet und die Mitgliedsvereine eingeladen, diese Herausforderung mitzutragen. Mit dem Workshop „Handeln in Respekt – Fairness und das Wohl der Kinder“ mit Markus Gröber und Matthias Reinmann wollte der VSS verstärkend auf unser aller Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft über einen respektvollen Umgang miteinander zeigen.
Der Workshop „Olympia kommt – Innovationskraft für das Land“ mit Prof. Schneider von der Deutschen Sporthochschule Köln war der Starschuss für eine mehrjährige Bildungsinitiative mit Blick auf Olympia 2026.
Mit dem Thema „Menschen und Trends – Was machen die Trends mit den Menschen? Was machen die Menschen mit den Trends“ wollten wir in die Zukunft schauen. Die Workshops „Mentales Know How für Trainerinnen und Trainer“ in Zusammenarbeit mit den Südtiroler Sportpsychologen und „Beweg dich Schlau!“ mit Felix Neureuther hatten das Ziel, Trainer- und Betreuer/-innen
in ihrer verantwortungsvollen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. Das Thema „Dritter Sektor und Reform des Sports“ aufbereitet von unserem Berater Dr. Markus Hofer durfte natürlich auch nicht fehlen. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass sich die Teilnehmer sehr aktiv und mit großem Interesse an den Workshops beteiligt haben. Dennoch bleibt ein kleiner Wermutstropfen. Ich hätte mir eine größere Teilnehmerzahl bzw. ein größeres Interesse seitens unserer Mitgliedsvereine erwartet. Sport ist nämlich nicht nur Training und Wettkampf, Sport heißt auch, sich mit aktuellen Fragen der Entwicklung von Sport und Gesellschaft auseinanderzusetzen.

VSS:Was werden die Schwerpunkte des VSS für 2023 sein?
 
Günther Andergassen: 2023 stehen die Wahlen der VSS-Verbandsgremien auf der Tagesordnung. Die Bemühungen um ein Landessportzentrum bleiben auf der Tagesordnung und werden wir noch verstärken.
Das Thema „Nachhaltiger Sport“ wird auf der Agenda bleiben. Wir möchten die Mitgliedsvereine einladen, aktiv mitzumachen. Zudem sind zahlreiche Aus- und Weiterbildungsangebote geplant, welche wir zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen möchten.
 Im Sport allgemein sowie in den Arbeitsfeldern der Sportorganisationen speziell bestehen grundsätzlich vielfältige inhaltliche Verbindungslinien zu den drei folgenden Nachhaltigkeitsdimensionen und er wirkt in die Gesellschaft und in alle ihre Ebenen hinein: (1) Im ökologischen Bereich im Kontext Umwelt- und Naturschutz; (2) im ökonomischen Bereich bezüglich Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Good Governance und Personalentwicklung; Sport erbringt wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich umfangreiche (3) soziale Leistungen, z.B. in Verbindung mit Integration, Gesundheit, Inklusion, Bildung, Chancengleichheit, Kinder- und Jugendarbeit sowie Engagement und Wertevermittlung in einem durchaus attraktiven Umfeld. In diesem „magischen Dreieck“ bietet der Sport mit seiner flächendeckenden Struktur und seinen engagierten Mitgliedern eine nahezu ideale Grundlage, um eine nachhaltige Entwicklung in unserer Gesellschaft zu unterstützen.
Der VSS wird 2023 die Initiative „Olympia kommt – Innovation für das Land“ mit einem Workshop zum Thema „Talentidentifikation“ fortsetzen und die Frage, wie wir im Sport auf allen Ebenen respektvolles Handeln fördern und festigen können. „Beweg dich Schlau!“ mit Felix Neureuther startet im Februar 23 in einigen Grundschulen, „Funino Kinderfußball – mehr Spaß, weniger Ergebnisdruck „wird fortgesetzt.
Wie man Jugendliche für das Engagement im Verein gewinnen, wird uns Peter Martin Thomas verraten, Prof. Renate Zimmers Konzept zu „Bewegte Kindheit“ wird äußerst motivierend wirken. Einen wesentlichen Impuls für verstärkte Angebote für Gesundheits- und Seniorensport erwarten wir uns  vom Beitrag zum Thema „Mein Sport, meine Gesundheit, mein Leben“ von Prof. Ansgar Thiel. Geplant ist schließlich ein  Aufbaulehrgang zum Sportinstruktor unter der Verantwortung von Mattias Schnitzer.

VSS:Welche Herausforderungen sehen Sie für die Südtiroler Amateursportvereine und den Sport insgesamt?

Günther Andergassen: Eine besondere Herausforderung angesichts des großen Stellenwerts von Bewegung und Sport für ein rundum gesundes Heranwachsen und für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es, auch jenen Kindern und Jugendlichen ein Sportangebot zu machen, die weniger wettkampforientiert sind, aber durchaus Freude an der Bewegung haben und möglicherweise noch versteckte Talente sind. Ähnliches gilt für Sportangebote für Erwachsene und Senioren, die auf dies Weise zu wichtigen Stützen eines Vereins werden können. Bei meinen Teilnahmen an den Vollversammlungen unserer Mitgliedsvereine stelle ich immer wieder mit Genugtuung fest, dass es vielen Vereinen durchaus gelingt, junge Menschen zur Mitarbeit und zur Übernahme von Verantwortung in den Vereinsgremien zu gewinnen. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, junge Menschen in Form von zeitlich begrenzten Projekten und mit ihren innovativen Ideen rechtzeitig für eine spätere Mitarbeit in den Vereinsgremien zu sensibilisieren/motivieren. Bei dieser Gelegenheit darf ich junge Vereinsfunktionäre/-innen oder jene, die es werden möchten, einladen, im VSS-Juniorteam mitzumachen. Ganz wesentlich für mich ist die ständige Weiterbildung, die Beschäftigung mit aktuellen und zukünftigen Themen der Zeit rund um die Entwicklung des Sports. Nicht das Geld, nein es sind immer die Menschen, die für eine gute und erfolgreiche Entwicklung eines Vereines entscheidend sind.
Eine Herausforderung, die den Sport, seine Organisationen und die gesellschaftlichen Kräfte insgesamt betrifft, ist jene, dass Sport und Bewegung als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen/Ressorts, wie z. B. Gesundheit, Soziales, Jugend, Familie, Sport, Bildung, Verkehr und Gemeindeentwicklung gedacht werden muss. Es geht darum, gemeinsam abzustimmen, welchen Beitrag die jeweiligen Ressorts dazu leisten wollen, Südtirol zu einem noch bewegungs- und sportfreundlicheren Land zu machen, Bewegung und Sport für alle Menschen in Südtirol möglich und einfach erreichbar zu machen - unabhängig von Wohnort, Herkunft, Geschlecht, Alter, finanziellen Möglichkeiten und individuellen körperlichen und geistigen Fähigkeiten.
Es geht darum, konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die die Menschen dazu ermutigen, ein „aktiveres Leben“ zu führen. An der Umsetzung dieser Maßnahmen muss sich das Land und müssen wir uns im organisierten Sport messen lassen!
Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer Kultur, die anerkennt, dass Bewegung und Sport von unschätzbarem Wert und unverzichtbar für die Entwicklung von Kindern und jungen Menschen sowie für das psychische und physische Wohlbefinden der Menschen aller Generationen sind. Dafür bedarf es einer sportfreundliche, bewegungsaktivierende, barrierefreien und nachhaltigen kommunale Sport- und Bewegungsrauminfrastruktur für alle Bevölkerungsgruppen.
Es geht auch um den sozialen Stellenwert des Sports, die Wertevermittlung durch Sportvereine und ihr Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der sozialen Teilhabe, um das Ehrenamt im Sport, um Gesundheitspolitik und um die Anerkennung der Sportvereine als Bildungsorte.
Unser Wunsch wäre es, dass sich alle beteiligten Akteur*innen gemeinsam darauf verständigen, an welchen Stellen Bewegungsförderung in den kommenden Jahren mitgedacht wird und Maßnahmen erarbeitet werden. Es wäre ein wichtiger Schritt zur Erarbeitung eines Entwicklungsplans Sport, einer Strategie für Sport und Bewegung, Und schließlich geht es auch um Rahmenbedingungen für die qualitative Weiterentwicklung des Breiten- und Leistungssports und um eine Strategie zu Sportgroßveranstaltungen.

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